NEIL MAC GREGOR und VITTORIA COLONNA   SIEBEN BRIEFE ausgetauscht zwischen MICHELANGELO UND VITTORIA COLONNA, die einzigen AUTHENTISCHEN DOKUMENTE IHRER PERSÖNLICHEN BEZIEHUNG, wurden von Neil Mac Gregor verworfen, der Vittoria Colonna den Todesstoß versetzte in MICHELANGELOS INDIVIDUALISIERTEN ZEICHNUNGEN SEINER GELIEBTEN MARCHESA. In der Ausstellung von MICHELANGELOS ZEICHNUNGEN NEARER TO THE MASTERi BRITISCHES MUSEUM  LONDON 2005 als Folge des Identitätsverlustes dieses WEIBLICHEN GENIES des RENAISSANCE-HUMANISMUS in einem Schatten Dasein bis zum heutigen Tag

PAOLIO GIOVIO

Mit welchen raffinierten Werkzeugen lässt sich das Bild einer Vittoria Colonna in Stein formen?
Welche exquisiten Nuancen ihrer Eloquenz drücken ihren Geist aus?

Die einfühlsamen Zeichnungen von Vittoria Colonna, vielleicht die sensibelsten Zeichnungen, die Michelangelo in den zwei Jahrzehnten von 1520 bis 1543 schuf, stellen eine faszinierende Neuheit dar, weil wir sie, ganz und gar nicht michelangelo-esque, dem Schöpfer kolossaler Männlichkeit nicht zutrauenmöchten. Darum wohl wurde Vittoria Colonna in diesen einzigartig lebendigen Zeichnungen nicht erkannt.

In den Bildunterschriften der Zeichnungen Michelangelos von seiner GELIEBTEN MARCHESA in der Londoner Ausstellung, 2005, firmierte Vittoria Colonna als anonymous woman oder the half-length figure of a woman. Die innigste Zeichnung, die Michelangelo von ihr schuf, wurde gar als HEAD OF A YOUNG MANausgeschildert, wenn auch mit einem Fragezeichen versehen, obwohl Paolo Giovio, der mit Vittoria Colonna befreundet war, in seinen Dialogen eine präzise Beschreibung ihrer Physiognomie hinterließ, in der er ihre Ohren und ihre Nase fokussierte:

PAOLO GIOVIO:
Obwohl wundervolle Edelsteine und Perlen an ihren Ohren baumeln, ist der Betrachter dennoch nur von ihren hübschen Ohren fasziniert, mehr noch jedoch von ihrer auffallenden Nase, die den Nasen der Dynastie der Arsakiden ähnelt. Ein winziges Hügelchen, das von der Natur eher angedeutet als ausgeführt wurde, beeinträchtigt ihren weiblichen Charm nicht 

Paolo Giovio´s Beschreibung wird von Michelangelos Zeichnungen bestätigt:

Um ihr Profil von griechischen Profilen zu unterscheiden, ließ der Zeichner ihre Stirne und ihre auffällige Nase leicht von einer geraden Linie abweichen. Und er fügte den winzigen Hügel an der Nasenwurzel hinzu.

Mühelos entdeckte die Verfasserin dieses Textes die von Neil Mac Gregor in Anonymität verbannte Vittoria Colonna in Michelangelos Zeichnungen an diesen von Giovio akribisch genau beschriebenen Merkmalen, unter der Vielzahl von Michelangelo Zeichnungen in dieser Ausstellung.

NEIL MAC GREGOR, DER INITIATOR DER AUSSTELLUNG vertieft sich in MICHELANGELOS ZEICHNUNG des LEBENDIGEN KRUZIFIXUS und in VITTORIA COLONNAS BEGEISTERTE BRIFEE über diese Zeichnung, die er ihr zum Geschenk machte.

Überraschenderweise, nachdem Neil Mac Gregor Vittoria Colonna in den Zeichnungen Michelangelos von ihr keine Präsenz eingeräumt hatte, ließ er sich von ihr doch so weit vereinnahmen, dass er ihr im Katalog einen Essay widmete und ihren  begeisterten Dankesbrief an Michelangelo für diese Zeichnung des Lebenden Christus am Kreuz ins Englische übersetzte.

Dann aber, wiederum unvermutet, verwarf er Vittoria Colonnas Briefe und tadelte ihre persönlichen Schwächen dafür, dass er keinen Zugang zu ihrem weiblichen Genius fand. Der wahre Grund, dafür, dass ihm, der sich gerne eines panempathischen Einfühlungsvermögens rühmt, Vittoria Colonna verschlossen blieb, ist wohl in ihrem Identitätsverlust zu suchen, den das weibliche Genie in der italienischen Renaissance in ihrem schattenhaften Nachleben bis heute zu beklagen hat.

Doch wäre dieser Identitätsverlust durch sorgfältige empirische Forschung wegen der reichen Quellengrundlage der DIVINA der ITALIENISCHEN RENAISSANCE korrigierbar. Vittoria Colonnas Sonette wurden 1952 von Alan Bullock ediert. Ihre faszinierende Briefsammlung wurde bereits 1892 von Ermanno Ferrero und Giuseppe Müller bearbeitet und veröffentlicht. Neil Mac Gregor hätte sich in Michelangelos verräterische Gedichte an die häufig als „größte Dichterin Italiens“ apostrophierte, tatsächlich aber weitgehend unbekannte, Vittoria Colonna versenken können.  Michelangelos Gedichte an sie und ihre Briefe an ihn, von Neil Mac Gregor als okkasionell vernachlässigbar abgetan, enthüllen nämlich die innere Dynamik der Beziehung zwischen den beiden Genies nicht nur der italienischen Renaissance.

Zweifellos ist es faszinierend für eine empirisch forschende Historikerin, sozusagen eine hart arbeitende Ameise, die sich ängstlich nur auf Primärtexte verlässt, um die historische Wahrheit über Vittoria Colonna zu eruieren, Neil Mac Gregor, den Zauberer unter den illustren Kunsthistorikern zu beobachten, wie er sich auf seine Intuition verlässt, wenn er sich in die Briefe der Colonna über den lebendigen Kruzifixus vertieft, zumal ihm die Zeichnung Michelangelos des Lebendigen Christus im britischen Museum greifbar war, um ein weiteres spektakuläres Beispiel für seinen idiosynkratischen approach zu originalen historischen Objekten, dieses Mal zu Vittoria Colonna zu liefern, auf der Grundlage einer gemeinsamen menschlichen Basis, derer sich der intuitive Zauberer mit Vittoria Colonna gerne gerühmt hätte. Doch die individualistische, kapriziöse, Renaissancefrau entzog sich seinem Zugriff!

Neil Mac Gregor -man erinnert sich? - , der glorifizierte Schöpfer einer Geschichte der Welt in ein hundert Objekten, die von untergegangenen Zivilisationen  zurückgelassen, im Britischen Museum gesammelt wurden, erfreute sich eines frenetischen Beifalls in 1336 Rezensionen von seinem  betuchtem, jedoch von Termin zu Termin hetzenden , bourgeoisen Publikum, dem er Geschichte als ein Kaleidoskop offerierte mit ständig wechselndem Programm, stets überraschend, unsere Welt also auf eine neuartig undogmatische Weise intuitiv nahe brachte.

Brilliantly, deeply researched, begeisterte sich eine bekannte britische Journalistin. One of the most effective and intellectually ambitious initiatives in the making of public history! So der Sunday Telegraph!

In seinen biographischen Informationen über Vittoria Colonna betont Mac Gregor ihre makellose hocharistokratische Abstammung und ihren persönlichen Einfluss in der römischen Gesellschaft, nennt ihre illustren Korrespondenten, beginnend mit Kaiser Karl V. gefolgt von Papst Paul III und den führenden Literaten, wie z. B. Castiglione, Bembo, Giovio, Varchi, wobei Neil Mac Gregor irritierenderweise den berüchtigten Aretin, den Rabelais der italienischen Renaissance, zuerst nennt und Pietro Bembo an zweite Stelle rückt, den venezianischen Granden und tonangebenden Literaten, vor allem auch Linguisten und Reformer der Volgata, dessen Lob Vittoria Colonna glühend begehrte.

Sie nannte ihn: Bembo, mio chiaro!

Vittoria Colonna, die geistvolle Femina Ludens, und Pietro Bembo entfalten in ihrer faszinierenden Korrespondenz den exquisiten Konversationsstil auf höchstem Niveau, indem sie Schmeicheleien mit funkelndem Witz herunterspielen, wobei Vittoria zuweilen ein gewagtes Spiel mit der literarischen Koryphäe treibt. Obwohl Pietro Bembo selbst Humor besitzt und ausstrahlt, schätzt er nicht immer Vittorias überlegenen Esprit.

Aber auch Neil Mac Gregor tut es nicht, sondern findet ihre changes in tone dizzying. Kann es sein, dass sein earth-bound sense of Scottish humour sich von ihrem sprunghaften Geist, ihrem funkelnden Witz bedrängt fühlte?

MICHELANGELO LEBENDER KRUZIFIXUS VITTORIA COLONNA UND NEIL MAC GREGOR KONTROVERSE INTERPRETATIONEN

Trustee: Britisches Museum London. AN 18429001.
By courtesy of the museum
MICHELANGELO ZEICHNET DEN LEBENDEN GOTTESSOHN AM KREUZ gemäß dem GOTTESBILD der VITTORIA COLONNA

 

Im Gegensatz zu dem gottergeben sterbenden Christus am Kreuz, der als Gotteslamm den alttestamentlichen Gottvater mit seinem grausamen Kreuzestod als Sühneopfer für die Sünden der Menschheit zu versöhnen hat, ist der muskulöse Körper, mit dem Michelangelo den lebenden Kruzifixus ausstattet, anstoßerregend, weil er an einen leidlosen griechischen Gott erinnert und die, einen Gott  zutiefst demütigende ,Kreatürlichkeit des masochistisch leidenden ECCE HOMO spätmittelalterlicher Darstellungen aus dem Blickfeld des Betrachters entfernt.

Mit dieser gewagten Veränderung der Ikonographie des gekreuzigten Gottessohns entsprach Michelangelo Vittoria Colonnas persönlichem Gottesbild:

Die Humanistin, erfüllt von der strahlenden Göttlichkeit Apollos bat Jesus Christus:

 

 

 

VITTORIA COLONNA

 

Ich bitte Dich, sei mein Apollo und bade mir Augen und Brust in Deiner himmlischen Quelle

 

Michelangelo hatte bereits den auferstanden Jesus (Santa Maria sopra Minerva), der von Stendhal als ein Athlet von bemerkenswerter Kraft beschrieben wurde, mit einem ähnlichen Idealkörper dargestellt. Nun aber, ermutigt von Vittoria Colonna, übertrug er den Körper eines griechischen Gottes auf den Gekreuzigten.

Neil Mac Gregor, der die Originalzeichnung in Händen hielt, folgerte ebenfalls die Initiative Vittoria Colonnas zu Michelangelos revolutionierender Darstellung des Gekreuzigten aus Spuren nachträglicher Veränderungen der Zeichnung:

The attractive hypothesis that the finished form of the design was arrived after consultation with Colonna, finds some support from the drawing itself, as it shows signs of having had additions by Michelangelo.

 

MICHELANGELO´S UND VITTORIAS LEBENDER CHRISTUS AM KREUZ VERGÖTTLICHUNG DES SELBT-BESTIMMTEN INDIVIDUUMS des RENAISSANCE-HUMANISMUS in AUFLEHNUNG gegen den ALT-TESTAMENTLICHEN GOTTVATER

 

Der Künstler lässt den Gottessohn am Kreuz den Sinn seiner Kreuzigung hinterfragen. Getrennt von seinem Gottvater, verlassen von IHM, ist er bis zum Moment seines Todes dennoch er selbst. Allein, einsam, ans Kreuz genagelt, bleibt Michelangelos Kruzifixus ein SELBST-BEWUSSTES INDIVIDUUM der RENAISSANCE, der seinen fernen Gottvater herausfordert, von ihm Rechtfertigung verlangt, weshalb er ihm seinen Opfertod am Kreuz auferlegte und ihn, seinen unschuldigen Sohn, für die Sünden der anderen büßen lässt.

MADONNA DEL SILENZIO GESCHENKZEICHNUNG MICHELANGELOS für VITTORIA COLONNA beweist ihre narrative Mitwirkung in seinem Schaffungsprozess des LEBENDEN GOTTESSOHNES AM KREUZ

Wiedergabe der Zeichnung mit schriftlicher Genehmigung des Kunsthistorischen Museums in Wien

 

NARRATIVES SUBSTRAT

Die Gottesmutter alias Vittoria Colonna, eine reife Frau, keine mädchenhafte Renaissance Madonna, ist die dominierende Figur im Vordergrund, die dem Künstler das narrative Substrat der Zeichnung vorgab. Sie hat die Beine über einander geschlagen. Auf dem einen Bein ruht der Kopf des Jesusknaben, der sich, mit angewinkelten Beinen, auf der schmalen Bank nicht in einem gesunden Schlaf ausstrecken kann. Michelangelo, in seiner üblichen Kapuze auf die Lehne der Bank gestützt, betrachtet hilflos forschend den Knaben. Die Leblosigkeit des Knaben, seine verkrampfte Körperhaltung antizipieren seinen frühen Tod, an den auch die Sanduhr in der Nische gemahnt.

Vittoria Colonna, eine kritische Gottesmutter des Renaissance-Humanismus, hält ein leeres Blatt Papier in ihrer, nach hinten ausgestreckten, Hand dem unerbittlich schweigenden Gottvater entgegen. Unmissverständlich fordert sie von ihm schriftliche Rechtfertigung für den Kreuzestod, den er ihrem und seinem Sohn in der nahen Zukunft auferlegen wird. Die Zeichnung bestätigt Vittoria Colonna auch als treibende Kraft der gewagten Erneuerung der Ikonographie des Gekreuzigten in Michelangelos Lebenden Kruzifixus.

 

MICHELANGELO UND VITTORIA COLONNA REBELLIERENDE GOTTESMUTTER UNTER DEM KREUZ

 

Nicht nur Ihr totales Unverständnis des HIMMLISCHEN VATERS, der Ihrem und Seinem Sohn den schändlichen Tod am Kreuz auferlegte, sondern ihr Zorn gegen ihn, wird in der rebellischen Körpersprache dieser aufsässigen Mutter Gottes unter dem Kreuz von Michelangelo schonungslos zum Ausdruck gebracht:

 

 

 

AUFBEGEHRENDE GOTTESMUTTER UNTER DEM KREUZ VITTORIA COLONNA: Narratives Substrat MICHELANGELO: ZEICHNUNG

TRUSTEE: LOUVRE. PARIS. Cabinet des Dessins. INV.-NR.720F
Mit Schriftlicher Genehmigung des Museums
  NEIL MAC GREGORS Idiosynkratische Interpretation des LEBENDEN KRUZIFIXUS MICHELANGELOS, gemäß VITTORIA COLONNAS Vorgabe als eines selbstbewussten Individuums der Renaissance in diametralem Gegensatz als Nachahmung des Todeskampfes des antiken Laookon und emotionalisierender spätmittelalterlicher ECCE HOMO Bilder, die Vittoria Colonna als Humanistin „GEKREUZIGT“ wissen wollte.

 

Um das Interesse seines religiös indifferenten bourgeoisen Publikums für Michelangelos Lebenden Christus am Kreuz aufzupeitschen, zieht Mac Gregor die Parallele zwischen dem Gekreuzigten und Laokoon, die von dem Magier gekonnt gewählt wurde; denn die Parallele ist nicht weither geholt, weil die berühmte antike Figur im Jahre 1506 in Rom ausgegraben wurde und Papst Julius II Michelangelo, der den Laookon sogleich als ein portento dell’arte pries, mit ihrem Transport in den Vatikan beauftragte. Sein sterbender Sklave (Louvre) lässt dann auch Reminiszenzen an Laokoon erkennen.

Neil Mac Gregor:  

Wie Condivi richtig bemerkte, stellt Michelangelos Zeichnung den Gekreuzigten lebendig dar, wobei die Verdrehung des Oberkörpers und sein gen Himmel gerichteter Blick an die Darstellung der Todesqualen Laokoons und seiner Söhne in der antiken Skulptur denken lässt.

Sollte Neil Mac Gregor Michelangelos Transfiguration seines lebenden Kruzifixus in ein selbst-bewusstes Individuum der Renaissance (gemäß Vittoria Colonnas ideeller Vorgabe), die eine unüberwindliche Barriere zwischen den Gekreuzigten christlichen Ursprungs und die antike Skulptur errichtet, tatsächlich entgangen sein?

Mac Gregor indes findet eine weitere Parallele, um seinem bourgeoisen Publikum eine primitiv emotionalisierende Intention Michelangelos mit seinem lebenden

Christus am Kreuz einzureden:

Neil Mac Gregor:

Die krasse Einfachheit der Zeichnung Michelangelos erinnert an die Ermahnungen der katholischen Prediger, sich in ihrer Devotion, in das Bild der Kreuzigung Christi zu vertiefen. Um ihnen dabei behilflich zu sein, ermutigte der Prediger Ochino seine Leser, die Szene anhand von Beschreibungen zu visualisieren, wie zum Beispiel im vierten seiner sieben Dialoge, wo erzählt wird, wie der GUTE DIEB begnadigt wurde, weil er die heißen Tränen Christi auf die Erde habe fallen sehen.

Neil Mac Gregor:

„In Michelangelos Zeichnung sollen der Totenschädel, das Blut, das von seinen angenagelten Füßen herunter tropft, und die lamentierenden Engel im Hintergrund, auf ähnliche Weise eine ähnliche Betrachtung des Opfers Christi auslösen.“

Kaum vorstellbar, dass Neil Mac Gregor als Kunsthistoriker nicht weiß, dass der Totenschädel am Fuße des Kreuzes Golgatha als den Ort der Kreuzigung Christi anzeigt, die auf dem Kalvarienberg stattfand, auf hebräisch Golgotha genannt: Schädelstätte. (Mark.15:22)

Oder passte sich Neil Mac Gregor in seiner Emotionalisierung der Zeichnung des Lebenden Christus den verrohten emotionalen Bedürfnissen seines bourgeoisen Publikums in unserer Brave New World an?

 

VITTORIA COLONNA’S INTERPRETATION des LEBENDEN KRUZIFIXUS MICHELANGELOS in Kontroverse zu NEIL MAC GREGOR´S RETRO- SPÄTMITTELALTERLICHER INTERPRETATION, die MICHELANGELO anhand von WEIT- HER-GEHOLTEN BEISPIELEN EMOTIONALISIERENDE Intention unterstellt.
VITTORIA COLONNA vereint CHRISTUS UND APOLLO In IHREM HUMANISTISCHEN GOTTESBILD und MICHELANGELO zeichnete ihr den LEBENDEN CHRISTUS am KREUZ mit dem VOLLKOMMENEN KÖRPER eines GRIECHISCHEN GOTTES  

Stolz auf ihre humanistische Bildung, die den weiblichen Aristokraten der italienischen Renaissance als ersten Frauen gewährt wurde, steigerte Vittoria Colonna, eine humanistische Zelotin, nicht nur ihre, von Michelangelo gepriesene, männliche Intelligenz:

 

EIN MANN IN EINER FRAU, ALSO EINE GÖTTIN SPRICHT AUS IHREM MUND UN UOMO IN UNA DONNA, ANZI UNO DIO DALLA SUA BOCCA PARLA.

 

UNGEWÖHNLICH FÜR EINE FRAU BIS HEUTE ENTFALTETE VITTORIA COLONNA IHRE SCHÖPFERISCHEN KRÄFTE AUCH IN DER THEOLOGIE:

Kühn vereinigte die HUMANISTIN CHRISTUS UND APOLLO IN IHRER PERSÖNLISCHEN GOTTESIDEE, bereicherte JESUS CHRISTUS um die STRAHLENDE SCHÖNHEIT APOLLS und Michelangelo verlieh dem LEBENDEN CHRISTUS am KREUZ den vollkommenen Körper eines GRIECHISCHEN GOTTES.

APOLL SCHAUEND, DESSEN STRAHLEN, IM VORÜBERGEHEN, JEDEN STERN ERLEUCHTEN, „kreuzigte“ die Dichterin die spätmittelalterliche Darstellung ihres LICHT-GOTTES als Schmerzensmann des ECCE HOMO.

Was erwartete sich Vittoria Colonna von Ihrem APOLLONISCHEN CHRISTUS?

 

GEISTIGE VITALITÄT,
um ihre irdische Unvollkommenheit zu überwinden.

Vor allem aber sollte CHRIST-APOLLO ihrer Seele ein heitereres Gottesbild einhauchen als dass düstere des ECCE HOMO, das ihr von der THEOLOGIA CRUCIS der REFORMIERTEN THEOLOGEN im spirituellen Zirkel in Viterbo indoktriniert wurde; denn:

 

Leichten Fußes wollte sie der falschen Welt entfliehen: Con leger salto sapro in tutto fuggir dal falso mondo.
VITTORIA COLONNA DER GEKREUZIGTE DES RENAISSANCE- HUMANISMUS IN HÖCHSTER SUBLIMIERUNG und POETISCHER PERFEKTION In IHREM SONETT LE BRACCIA APRENDO IN CROCE (die Arme am Kreuz öffnend)

 

Während Neil Mac Gregor in düsterem, spätmittelalterlichem, blutrünstigem Dogmatismus verstockte, entledigte sich Vittoria der überkommenen Interpretation der Kreuzigung des Gottessohnes als Sühne Tod, der Jesus Christus von seinem alttestamentlichen Gottvater auferlegt wurde, um die Sünden der Menschheit ihm gegenüber zu kompensieren.

Sie interpretierte die Kreuzigung Jesu Christi als freiwilligen Liebesakt für die Welt und die Menschheit, deren Los der christliche Gott durch seine Menschwerdung teilte.

Mit ihrer eigenen Interpretation des Kreuzestodes Jesu Christi trennte sich Vittoria Colonna von den Reformierten Theologen, in deren Kreis sie zwei Jahre lang in Viterbo lebte, und eilte ihrer Zeit voran an die Seite der Protestanten des 20.Jahrhunderts, deren Interpretation des Kreuzestodes Jesu Christi mit ihrer Auslegung identisch ist.

Bischof Wolfgang Huber:
Jesu Christi Tod am Kreuz ist ein Akt der Selbst-Hingabe, der in persönlicher Freiheit und in Liebe vollzogen wurde.

 

LE BRACCIA APRENDO IN CROCE

Interpretation

VITTORIA COLONNA stellt als Dichterin des Renaissance-Humanismus den GEKREUZIGTEN JESUS CHRISTUS als ein SELBST-BESTIMMTES INDIVIDUUM der RENAISSANCE dar, der aus eigener Initiative handelt, wenn sie in ihrem großen CONCETTO am Anfang des Sonetts den Gekreuzigten die Arme von den Kreuzesbalken lösen lässt für eine Umarmung dieser Welt und der Menschen, die jetzt in ihr leben. Den HIMMEL erwähnt sie nur ein einziges Mal und in einem Atemzug zusammen mit dem LIMBO, beides unzugängliche Bereiche für die Dichterin und ihre Mitmenschen.

IHR GEKREUZIGTER GOTT umarmt Felsen, historische Monumente, den Vorhang des Tempels, der nach Christi Tod entzweiriss, wie auch Schatten und Figuren. Die Dichterin fokussiert die wahrnehmbare diesseitige Welt.

Im zweiten Vierzeiler ihres Sonetts wird die Umarmung des Gekreuzigten Christus vergeistigt in eine Erleuchtung der Menschen für die Neuen Schriften, die nicht eingraviert wurden in Steinplatten und auch den Neuen Christen nicht aufgenötigt oder indoktriniert wurden.

 

Die NEUEN SCHRIFTEN des GEKREUZUGTEN CHRISTUS werden von diesen neuen Christen selbst ausgelegt, während die Dichterin  die Einwirkung des  Gekreuzigten darauf beschränkt, den Herzen der Menschen glühenden Eifer einzuflößen, nachdem seine Güte das Eis in ihren Seelen dahinschmelzen ließ, indem er ihnen seine süße Herrschaft erschloss und  die Menschen seine Freundlichkeit spüren ließ, göttliche Gnaden verströmte, die bisher von der Masse  der Vorschriften der alttestamentlichen Religion der harschen, einschüchternden Gesetze ins Hintertreffen geraten waren, die auch als Platzhalter des scholastischen Dogmatismus des 16. Jahrhunderts gemeint ist,  vor allem nach Wieder-Einführung der Inquisition!

Die Dichterin träumt von der Umarmung des Gekreuzigten, die Wirkung zeitigt in einer beseligenden Befreiung der Religiosität, die sie überschwänglich im zweiten Terzett besingt:

 

O, DESIATA PACE, O, BENEDETTI GIORNI FELICI O, LIBERAL PIETADE, CHE NE SCOPRE GRAZIE, LUME, AMORE.
VITTORIA COLONNA SONETT DIE ARME AM KREUZ ÖFFNEND

Indem Du, Herr, am Kreuz, die Arme und Deine hehren, reinen Wunden, weit geöffnet hast, hast Du den Himmel erschlossen, den Limbo, die Felsen, die Monumente, den Vorhang des antiken Tempels, die geschichtlichen Spuren und die Figuren.

Den Geist des Menschen, der im Dunkeln irrte, hast Du erleuchtet. Indem Du das Eis geschmolzen hast, erfülltest Du ihn mit glühendem Eifer, so dass er Deine Heiligen Schriften erschloss.

Du hast Deine süße Herrschaft offenbart und Deine Güte, die den strengen Vorschriften eines harschen, wenn auch gerechten Gesetzes der Furcht verborgen schienen.

Oh, ersehnter Friede, oh gesegnete, glückliche Tage, oh befreite Frömmigkeit, die Gnade, Licht und Liebe strömen lässt.

VITTORIA COLONNA SONETTO LE BRACCIA APRENDO IN CROCE   Le braccia aprendo in croce e pure piaghe largo, Signor, apristi il Cielo, il limbo, I sassi, I monumenti, e ‘l velo del tempio antico, e l’ombre e le figure   Le menti umane infin alora oscure Illuminasti, dileguando il gielo, le riempiesti d’un ardente zelo, ch‘ aperse  poi le sacre tue scritture.   Mostrassi il dolce imperio e la bontade, che parve ascosa in quei tanti precetti de l’aspra e giusta legge del timore:   O, DESIATA PACE, O BENEDETTI GIORNI FELICI, O LIBERAL PIETADE, CHE NE SCOPRE GRAZIE, LUME, AMORE